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Die Tiger von Hakusembe

erstellt am: 17.05.2015 | von: Jürgen Oeder | Kategorie(n): Namibia, Reiseziele

Von Klaus Bars
Über den Verrat Das Suchen und Finden von Angelparadiesen gehört zu meinen wichtigsten Lebenszielen, denn nur wenn ich sie gefunden habe, kann ich mich in ihnen aufhalten, in ihnen Zeit verbringen, mich tief verneigen und hoffen, dass mein Aufenthalt akzeptiert wird, von Raum, Zeit und den herrschenden Naturgegebenheiten. Um Bestandteil dieser Räume (Ich nenne sie mal so.) zu werden, muss man sie aber erkennen, und die Fähigkeit dazu setzt eine Art von Selbstbefreiung voraus, wie ein kalter Wasserstrahl durch unser verseuchtes Gehirn, der den ganzen Mist und all die Blockaden, damit er auch drinbleibt, mit sich reißt. Was bleibt, ist ein vollkommen neues Universum, welches durch unsere zurückgewonnene Fähigkeit der sinnlichen Wahrnehmung widergespiegelt wird. Bestandteil dieser Wunderwelt sind die Paradiese, im Besonderen die Angelparadiese, um die es hier geht. (Zurzeit lebe ich täglich fünf Stunden in einem und kenne drei weitere, die ich in größeren Abständen besuchen darf.) Was ich sagen will: In dem großen Eroberungskrieg der Menschheit gegen den Planeten Erde existieren Orte, an denen, warum auch immer, eine Art längerer Waffenstillstand herrscht, die also erst später unterworfen werden. Ich sitze zum Beispiel mit Freunden und meiner Frau (oder umgekehrt) am Lagerfeuer in Namibia, als sich Matthew grasrupfend nähert und mit großen Augen wenige Meter vor uns innehält. (Matthew ist ein Flusspferd und wiegt an die vier Tonnen, über Wasser.) „Ist nett hier“, sagte das Flusspferd, „oder, Klaus?“ Ich dachte darüber nach und bestätigte die Frage kopfnickend. „Wenn du wieder in Deutschland bist, hältst du den Mund, oder?“ „Geht in Ordnung, für wen hältst du mich denn?“ „Für einen Verräter.“ antwortete Matthew. Und das kluge Flusspferd sollte Recht behalten. Hier ist der Beweis: Schwarz auf weiß. Nun kann ich an diesen Ort niemals zurückkehren, denn ich bin Matthew unterlegen, in allen Bereichen. Das ist eben das Problem mit den magischen Orten, die ich Paradiese nenne. (lies: kleine Parauniversen im Diesseits, oder das Draußen im Drin.) Werden sie öffentlich gemacht (hier durch mich und das www), hören sie sehr bald auf zu existieren, so, als hätte es sie nie gegeben. Sie werden „erobert“, nutzbar gemacht, verändert und somit zerstört. Bestenfalls erlangen sie nach langer Zeit einen mythischen Status, aber in Wahrheit werden es Orte, „von den Überlebenden beschissen“, wie es Heiner Müller sagen würde. Ich werde noch einen dieser Orte enttarnen, dann ist Schluss mit dem Verrat. Hakusembe am Okavango, der Heimat der Riesenplötzen mit dem Wolfsgebiss, der Heimat des Tigerfisches. (Aber so richtig wohl fühle ich mich bei dieser Sache auch nicht.) Mein letzter Verrat Als wir in Hakusembe ankamen, dämmerte es bereits. Über den Okavango schlichen feine Nebelfäden handbreit über seine Oberfläche. Es war kalt Anfang Juni in Namibia, und das war mir gar nicht recht. (Meine Reisetasche wog 8 kg und war nahezu voller Sommersachen. Afrika, wie könnte es in Afrika einen Winter mit europäischen Temperaturen geben? Ich war ein Narr.) Wir (Francois und Erki, Troll ((so nennt Klaus seine Frau, Anm. d. Red))und ich) bauten schnell die Zelte auf. Die Luft war mückenfrei, und es ging zügig voran. Nach 20 Minuten stand ich mit meiner Spinnrute bewaffnet im Lichtschein unserer Toilette und fror. Los Francois! Er grinste, griff 8! „Angelstöckis“ (wie sie da sagen), einen Beutel (Bait) und einen Rucksack („Zubehör“). So spazierten wir durch den Speisesaal zur Rezeption in der Hoffnung, für den morgigen Tag noch ein Angelboot chartern zu können. Einige Multimillionäre ließen bei unserem Anblick das Besteck fallen. Das Personal beschwichtigte die Herrscher über diese Welt, wir wären keine Lodgegäste, wohnten in Zelten, und es käme nie wieder vor. (Auf den Rückwegen von der Angelstelle wurden wir, einzeln wie wir kamen, abgefangen und weiträumig und leise um den Luxustrakt geführt. Man nahm uns sogar unser Gepäck trinkgeldfrei ab. (Und ich denke zu Hause über Revolutionen nach!) Hakusembe, ein Paradebeispiel für die für die zeitgenössische Funktionsweise von Unterwerfung: Man lässt eine Gabel fallen, und schon wird die Welt wieder klar strukturiert. Na gut, mal was über Hakusembe, stellvertretend für hunderte Lodges in Afrika: Sie bestehen aus einem Dutzend kleiner Hütten und Häuschen mit Dusche und WC. Sie haben einen großen Balkon mit Ausblick auf Natur und Landschaft. Die Drinks kommen auf Bestellung. Je nach Ausstattung liegt der Tagespreis ungefähr in Höhe einer Monatsmiete für eine Zwei- bis Fünfraum-Wohnung in Deutschland. Weil es aber auch Menschen gibt, denen nicht so viel Geld für einen Afrikaurlaub zur Verfügung steht, betreiben die meisten Lodges noch einen separaten und weit abgelegenen Zeltplatz. Diese „Zeltplätze“ sind nummeriert, sauber, riesengroß und mit Dusche und WC, Grillplatz und Mülltonne ausgestattet. 10 Euro und ein Zelt, und die Übernachtung in der Wildnis mit Schlangen, Nilpferden, Krokodilen und Skorpionen kann losgehen. Ein Lagerfeuer mit Grill daneben, einige kalte Windhoek-Lager und `ne volle Packung Zigaretten. Das ist unsere Variante von Afrika- Übernachtungen. Ich brauche kein Personal zum Essen, ich brauche ´n paar Angler, die mir guten Hunger wünschen, wenn sie gut gelaunt zum Wasser trotten. So, und da sind wir wieder, endlich an der Angelstelle angekommen. Und nun kommt es, das Allerwichtigste: Der versprochene Strahler, der einen riesigen Lichtkegel auf den faulen Fluss zauberte. Die Einstrahlung war so stark, dass man tief in das halbklare Gewässer blicken konnte. Die Geschwindigkeit des Stroms an dieser Angelstelle (10 Meter breit, nicht mehr, wie ein Popperdeck auf den Malediven) machte eine Krokodilattacke eher unwahrscheinlich, Hippos kündigen sich akustisch an, also los. (Das war auch der Startschuss für die Mücken, endlich Life-Bait; aber die Köder flogen schon, erst durchs Licht, dann durchs Dunkel stromauf und klatsch, die Landung.) An diesem Ort im Fluss wird`s nie dunkel. Die Tigerfische wussten das, die Baitfische wussten das, und wir hatten es von Henry, also auch gewusst. Die Tigerfische waren gut in Form. Überall klatschte es, große silberne Leiber schossen aus dem Wasser, manchmal zwanzig Exemplare in einer Sekunde. Köder ausprobieren, 30 bis 50 Gramm Wurfgewicht für 60 bis 80 Meter, vom Dunkel ins Licht, vom Dunkel ins Licht. 15 Würfe mit Martins Köder, nichts! 15 Würfe mit meinem Köder 1, 2 und 3; nichts. Ich fror, wir hatten 40 Fahrenheit. Die Mücken hatten auch ihre Probleme, sie wurden steif und träge, sie hatten hohe Verluste, nicht nur in den Wurfpausen. Francois hatte einen Tiger fest, die Rolle schwieg und dann der Knall. Das war eine 0,14 Fireline, gebraucht, würde ich sagen. Ich machte drei Schritte zu ihm rüber und zog am Schnurrest. Nichts, die Spule stand still. Ich stellte seine Bremse ein, gefühlte 3kg und sagte ihm, er solle nicht an der Schraube rumfummeln. (Die Jungs in Namibia hatten von Stationärrollen keine Ahnung, sogar die Kurbel hatten sie auf der falschen Seite. Ihre Domäne sind Multis, und was sie mit denen anstellen, ist bewundernswert. War also so eine Art Erfahrungsaustausch der Kontinente.) Ich probierte einen Spinner aus Joachim Volz` Eigenanfertigung, alles selbstgebaut. Großes gelbes Spinnerblatt kombiniert mit meiner Schleppstange 28lbs, auch selbstgebaut. Der erste Wurf, also der 101. insgesamt, und ein Tiger war fest, er machte einen nicht ganz sauberen Salto und setzte dann relativ zügig die Spule meiner 10.000er Stella in Bewegung. 0,19 Fireline, 5kg Bremskraft drin (auch gefühlt) und die stellatypische Trägheit, ehe die großen Bremsscheiben ins reibende Gleiten kommen. Unglaublich, der Fisch zog über 10 Meter Leine ab, verlor dann die Orientierung im dunklen Wasser und schoss auf mich zu. 10.000 FA, die konnte auch ein Tigerfisch nicht überholen. Na ja, also Luftakrobatik, hin und her, vor und zurück, aber der Haken blieb erstaunlicherweise irgendwie im Gebiss des Fisches hängen. Kurz darauf hatte ich, nicht bevor ich die Uferzone nochmal ausgiebig nach meterlangen Ungeheuern inspiziert hatte, den Tiger am Genick und machte den Drilling aus seinem Maul raus. Ging problemlos, wie das Abkuppeln einer Modelleisenbahn. Dann gab‘s zwei Küsschen. Das eine bekam der Tigerfisch, aber nur auf die Stirn, und das andere setzte ich voll auf das gelbe Spinnerblatt mit dem roten Pinselstrich durch. Das konnte man bis Bietigheim hören. (Hoffe ich.) 38 Fahrenheit, es war 19:30 Uhr, kurzärmlig und halbtot vor Kälte machte ich den Rückzieher, links den Troll und rechts mein Angelzeug in den Händen. Weit vor dem Hauptgebäude wurden wir abgefangen, aus bekannten Gründen. Der Mann hatte eine Taschenlampe, auch er fror. Er lieferte uns zielstrebig an unseren Zelten ab. Dort brannte das Lagerfeuer. Es brannte lichterloh. Ich holte mir ein Windhoek-Lager aus der Kühlbox und stellte mich ans Feuer. Dort begann ich mit einer langsamen Rotation um meine eigene Achse, um etwas für meine Körpertemperatur zu tun. So wie das die Erde auch macht, nur etwas eiliger, aber nicht so eilig wie das gelbe Spinnerblatt. Am nächsten Morgen gingen wir zur Rezeption (hintenrum), um unser Angelboot nebst Guide zu ordern. Es war kurz vor 9, die Sonne wärmte, und der Verantwortliche kam. Also bis 16 Uhr war das Boot frei. Warum nur bis 16 Uhr? Einige Gäste benötigten das Fahrzeug, um dem Sonnenuntergang mit Essen und Trinken auf dem Fluss treibend beizuwohnen. Ich verdrehte die Augen. Ok, bis 16 Uhr, was macht das? 1200 Dollar, ohne Drinks und Snacks. Ich gab dem Typen die Hand und sagte, ich lege mich wieder ins Zelt und schlafe noch `ne Stunde. Halt, halt, so wäre das doch nicht gemeint, 600 geht auch. Ich änderte meine Laufrichtung zum Bootssteg und zeigte auf einen motorisierten Schwimmkörper auf Katamaran-Basis. Der Guide nickte, und ich machte die 600 locker. Wir bestiegen die Plattform, dann ging‘s los. Es gab Gartenstühle an Bord und zahlreiche Spinnangeln, die etwas Spielzeughaftes hatten, dünne kurze Stöcke mit 300er Rollen dran und bunten kleinen Ködern, etwas größer als Fliegen. Naja, wir hatten unser Angelzeug mit, und ich begann gleich, ein Ködersortiment im Maschendrahtzaun, der die schwimmende Plattform hüfthoch begrenzte, aufzureihen, mit den Köpfen nach unten. (Mein Freund vom Vorabend war in erster Position.) Wir fuhren etwa fünf Kilometer stromauf und los ging‘s. Nach einer Stunde hatte ich alle Köder einmal durchgeworfen. Nicht und nichts und gar nichts. Unser Guide, der nicht sehr gesprächig war, arbeitete mit seinem Rutenarsenal. Er wechselte keine Köder, er wechselte einfach die Angeln durch. Nach einer weiteren Stunde waren wir wieder an der Lodge und warfen unverdrossen weiter. Es ging stromab. Auf der anderen Seite des Flusses lag Angola. Nirgends war ein Angler zu sehen. Der Fluss war wie ausgewechselt. Wo waren sie, all die lebendigen Leiber der Dunkelheit. So deprimierend der Tag sich durch die Zeit zog, war unsere große Drift nie langweilig. Das lag an Francois` Würfen mit der für ihn ungewohnten St ationärrolle. Niemand, auch er selbst nicht, konnte in etwa voraussagen, wo der Köder landen sollte oder landen würde. Das betraf sowohl die Wurfrichtung als auch die Wurfweite. Mal klatschte er fünf Meter vor dem Boot in den Fluss, manchmal flog er weit in den Schilfgürtel am jeweiligen Ufer. Francois war die Ruhe selbst, ich hielt meinen Mund, und wenn er in hohem Bogen ausholte, ging ich in Deckung, so gut es ging. (In der folgenden Nacht, beim Uferangeln, wagte ich mich in der Dunkelheit auf ein verankertes Boot, um von dort zu fischen. Nach zwei Volltreffern mit einem bronzefarbenen Effzett verließ ich meine aussichtsreiche Angelposition wieder. Sie war weit ab von Francois` Wurfrichtung, aber was macht das schon.) Immer, wenn ein Wurf nicht ins Wasser traf, steuerte unser Kapitän sein Fahrzeug mit voller Fahrt in den Pflanzenwald, um den Köder zu bergen. Alle Insekten waren mit einem Schlag wach und verteidigten ihr Revier. Andere Tiere wohnten dort bessererdings nicht, wir hatten also nur geringe Schwierigkeiten. (Vor dreißig Jahren hätten sie uns einfach erschossen, wenn wir, gewissermaßen illegal, angolanisches Gebiet „betreten“ hätten. Es herrschte Krieg damals, die Einflussbereiche der Westmächte in Afrika endeten am Okavango, Namibia gab es damals als Südafrika, und Angola hatte sich auf die Seite des Sozialismus geschlagen. Der Okavango ist noch immer der Grenzfluss, am Tag ohne, in der Nacht mit Fisch. Er funktioniert heute nur noch als Transportmedium für Schmuggler aller Art, vorzugsweise für namibisches Rindfleisch, heiß begehrt und gut bezahlt in Angola. Militär gibt es kaum noch. Die Grenze ist unbewacht. So geht die Geschichte.) Tja, also, mehrmals in der Stunde wurden wir von aufgebrachten Insektenschwärmen angegriffen, die Sonne brannte trotz Winter ohne Erbarmen auf uns runter (über 80 Fahrenheit jetzt) und die Fische, na ja, Schwamm drüber. Irgendwann, aber heute noch, wird es wieder dunkel, der Strahler geht an, und wir werden da sein. Bei Dunkelheit betrachtet sehen die Dinge immer anders aus oder gar nicht. Wir gaben unserem Kapitän und seinen Angeln die Freiheit zurück und machten uns auf den Heimweg. Als wir uns nach Einbruch der Dunkelheit weiträumig der vom Strahler erhellten Stelle näherten, klatschte es bereits von weitem hörbar im Strom. Kein Angler da, wir waren allein, abzüglich der Mücken, die auch sehnsüchtig auf uns warteten. Alles bis auf einen entscheidenden Unterschied war wie am Vorabend. Wir hatten noch 69 Fahrenheit, also optimale Betriebstemperatur. Zeitsprung! Eine Stunde vor Mitternacht befand ich mich allein mit meinem Kram auf dem Rückweg zum Zeltplatz. Links das Angelzeug, rechts einen toten Tigerfisch mit 6kg (geschätzt) Gewicht. Erwartungsgemäß kam ich nicht weit. Aus einer Hecke tauchte ein dunkelhäutiger junger Mann auf. Er hatte eine Taschenlampe, sie strahlte weit und erfasste mich und den Tigerfisch. Der Fisch bekam alle Aufmerksamkeit, er wurde mir abgenommen, was mich sehr erleichterte, und bestaunt. Ich sagte, es täte mir sehr leid um den Fisch, der jetzt tot ist, aber der Drilling war tief im Schlund. Ich konnte nichts machen, und so erzählte ich weiter vom Angelabend, zerstochen und halbglücklich. Erzählte von den 14 Bissen und den vier gefangenen Tigerfischen, erzählte vom Angeln, von Namibia, von den Kupferhaien an der Skelettküste, vom Ozean (Von dem mein Begleiter nur gehört hatte, dass es ihn geben soll.) und dann waren wir da. Im Licht unseres Zeltplatzes erkannte ich meinen Nebenmann wieder, es war unser Guide. Seine Freiheit hatte nicht lange gedauert. Ich holte mein mich immer begleitendes Bandmaß aus der Tasche. Der Tigerfisch lag im Gras, und ich legte an: 78cm! Der größte, den er je gesehen hätte, sagte der Kapitän nachdenklich. Ich fragte nach. Er meinte, mit der Angel gefangen. (Ich dachte an seine Ausrüstung und nickte.) Er wackelte mit seiner Taschenlampe, die einen weiten Lichtkegel in die Zukunft warf, den weiten Weg zurück. Ich blickte ihm lange nach, erst sah er schwarz aus, dann verloren sich seine Konturen allmählich. Dann sah er gar nicht mehr aus, nur sein Licht geisterte durch die afrikanische Nacht, die es immer noch auf sage und schreibe 56 Fahrenheit brachte. Ich legte `ne Menge Holz auf die Glut, holte mir ein Windhoek Lager und blies in die Glut, die noch immer Wärme ausstrahlte. Das Feuer ließ nicht lange auf sich warten. Ich setzte mich neben meinen toten Tigerfisch und stieß mit ihm an. Er sagte: „Prost, du Arschloch!“ Ich gab ihm recht, uneingeschränkt. Euer Klaus